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eine weibliche Genealogie des Wissens....!

Die heilige Anna lehrt der Jungfrau Maria das Lesen.

Gefunden im August in der Kirche St. André
in Saint Yrieix-la-Perche, Frankreich
.

Anna lehrt Maria lesen

Photo: Ulrike Bail

In der Mitte des Sommers

Vollkommens ist’s
wie der sommer sich über die dämmrung beugt
An dünnen ästen makellose vogelbeeren
und außerhalb des gewichts der zeit
Der august so nah wie die distel am weg
Die tage um einen fußbreit kürzer
Unter zerbrechlichem stern bruchstückhafte gespräche
Noch glauben wir’s einander nicht daß aus dem nahen
dickicht
der herbst tritt
Immerzu liegen die bäume vor anker in wurzeln wie glocken
Sicherheit überkommt
Und wunderschön das überflüssigsein der klage

Jan Skàcel

 

Anne Michaels, Wintergewölbe. Roman, Berlin Verlag, 2009.

Zehn Jahre nach dem wunderbaren ersten Buch ‚Fluchtstücke’ von Anne Michaels erschien nun Wintergewölbe, ein nachdenkliches, dichtes, poetisches Buch, das es wert ist, dass man es langsam liest.
Der Roman erzählt von Avery und Jean, die sich im wasserlosen Bett des St.-Lorenz-Stroms kennenlernen. Avery ist als Ingenieur an der Begradigung des Flusses beteiligt, Jean sammelt die Pflanzen, die es bald so nicht mehr geben wird, um sie zu bewahren.
Als Avery nach Ägypten geht, um den Tempel von Abu Simbel wegen des Nasser-Staudamms zu versetzen, begleitet ihn seine Frau. Dort leben sie auf einem Hausboot gegenüber der riesigen Baustelle, die für beide immer fragwürdig wird, hat sie doch die Umsiedlung der Nubier zur Folge, die ihre Traditionen, ihre heiligen Ort, ihre Gräber und damit ihre Geschichte und ihre Identität zurücklassen müssen.
Dort verliert Jean auch ihr ungeborenes Kind. Dieser Verlust treibt die beiden auseinander, so dass sie später, wieder nach Toronto zurückgekehrt, getrennt leben. Avery beginnt Architektur zu studieren, Jean verliebt sich in den polnischen Künster Lucjan, der das Warschauer Ghetto überlebt hat.
Im letzten Kapitel kommen die beiden Liebenden wieder zusammen, in ‚einer empfindlichen neuen Möglichkeit’, die wieder verschwinden würde, „wenn sie jetzt unpräzise sprächen“. Dieses Kapitel trägt die Überschrift ‚Petrichor’, ein Wort für den Geruch des Regens auf trockenem Grund, wenn es lange nicht geregnet hat.
Der Roman thematisiert auf poetische Weise die großen Fragen von Verlust und Vergebung, Zerstörung der Natur und verlorener Schönheit, von Abwesenheit und Trauer, von Erinnerung und Schmerz, Überleben und Zärtlichkeit, Stein und Haut.
Immer wieder stößt man auf Sätze, an denen man lange hängen bleibt: „Manche Tage, dachte Jean, sind nur aus Liebe möglich.“ Oder:
"Sie hatte sich schon so oft vorzustellen versucht, wer den ersten Garten angelegt hatte; wer der erste gewesen war, der Blumen nur um der Freude willen gepflanzt hatte, wann Blumen zum ersten Mal absichtlich von der Wildnis getrennt worden waren - durch eine Mauer oder einen Graben oder einen Zaun. Aber jetzt war sie überzeugt, mit einem fast uranfänglichen Wissen, dass der erste Garten ein Grab gewesen sein müsse."

Ulrike Bail
 

artikel205
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